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Zur aktuellen Faust-Dramaturgie

Die dramaturgischen Gespräche zur Neuinszenierung Goethes Faust drehten sich um die besondere Bedeutung von Rudolf Steiners Verhältnis zu Goethes Faust. Dieses ist von verschiedenen Facetten geprägt. Einerseits wird Faust für Steiner zum Sinnbild des modernen Menschen. Andererseits spielt Goethes Faust eine zentrale Rolle für Steiners eigene Bühnendichtung die "Vier Mysteriendramen". Während der Zusammenhang dieser Dramen zu Goethes Märchen historisch unmittelbar nachvollziehbar ist, ist der Zusammenhang mit Faust vor allem mittelbar zu erschliessen. Während Goethes Faust ein Gelehrten-Drama oder eine Gelehrten-Tragödie ist, drehen sich die Mysteriendramen um die Künstlergestalt Johannes Thomasius. Beim genaueren Hinsehen wird aber deutlich, dass auch das Gelehrtendrama in den Mysteriendramen wiederkehrt. Und zwar in einer Ausdifferenzierung zwischen Historiker (Prof. Capesius) und Naturwissenschaftler (Dr. Strader). Auch der spirituelle Lehrer (Benedictus) bleibt von der Entwicklungsdramatik der Mysteriendramen nicht ausgeschlossen.

Ein Ansatz zur Beleuchtung und Interpretation kann daher sein, die Vorgänge in den Mysteriendramen und in Goethes Faust aufeinander zu beziehen. Das wird unter anderem für die Interpretation von Goethes Mephistopheles fruchtbar. Denn Rudolf Steiner sah die in seinen Dramen erscheinenden Kräfte Luzifer und Ahriman in mancher Hinsicht in der Mephisto-Gestalt noch vereint. Die Unterscheidung der Wirkungsarten des Bösen (im Menschen) betrachtete Rudolf Steiner als eine seiner wichtigsten Leistungen.

Ein anderes Thema ist die Frage nach den Wegen der Persönlichkeitsentfaltung. Goethes Faust zeigt einen Menschen in der Isolation, ohne stabiles soziales Umfeld aber mit den höchsten Entwicklungsambitionen: "Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne und von der Erde jede höchste Lust". Im Weiterdenken der Faust-Thematik sucht Steiner in seinen eigenen Dramen diesem Streben eine soziale Gemeinschaft zuzuordnen. In dieser sollen sich die Einseitigkeiten und Gefahren mildern, überwunden oder ganz vermieden werden. Sieht man Faust als eine im Leben weitgehend isolierte Gestalt, so werden die Gefahren sichtbarer, die gerade in der Gegenwart jeden Menschen bedrohen können. Und es wird ersichtlich, wo die Heilkräfte zu finden sind: in der liebevollen Zuwendung der Menschen zueinander. Kann die Inszenierung diese Spannung verdeutlichen?

(ah)