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"Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion"

Johann Wolfgang von Goethe war und ist ein einflussreiches Sprachgenie. Bereits zu Lebzeiten war er über sein konkretes Umfeld hinaus wirkungsvoll. Zum Beispiel besuchte Napoleon den Dichter des Werther, um persönlich den Staatsmann aber gerade auch das Sprachgenie kennen zu lernen. Ohne ein ausgesprägtes und trainiertes Sprachvermögen muss vieles unausgesprochen bleiben. Der Wert formulierter Gedanken, Gefühle und Absichten ist nicht hoch genug einzuschätzen. Das Sprachvermögen ist eine der wesentlichen Eigenschaften, die den Menschen zum Menschen machen.

Goethes Schaffen umfasste das Schreiben von Aphorismen. In den "Zahmen Xenien" und anderen Sammlungen veröffentlichte er eine Reihe kleiner sprachlicher Kunstwerke. Der hier folgende Aphorismus ist inhaltlich besonders bedeutend. Denn Rudolf Steiners Anstrengungen zur Schaffung einer Anthroposophie zeigen eine deutliche Inspiration besonders aus dem ersten Teil dieses Gedankens.

"Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, Hat auch Religion; Wer jene beiden nicht besitzt, Der habe Religion."

In ihrer Schrift zu "Rudolf Steiners Faust-Rezeption" macht Martina Maria Sam darauf aufmerksam, dass Rudolf Steiner sich nicht nur gedanklich, sondern auch praktisch, also inszenatorisch mit der Faust-Dichtung von Goethe befasst hat. Seine Rezeption und sein Umgang mit Goethes Faust sind wissenschaftlich und künstlerisch zugleich. Bei Rudolf Steiner befruchten sich die künstlerisch-produktive und gedanklich-inhaltliche Auseinandersetzung zu einem vielschichtigen Begreifen und Charakterisieren von Goethes Werk.

Diese Unschärfe zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion (oder Spiritualität) ist gewollt. Denn die Integration dieser kulturell unterscheidbaren für den Menschen insgesamt aber gleich wesentlichen Bereiche in eine Weltanschauung gehört zum Projekt oder Kulturimpuls der Anthroposophie.

Für die künstlerische Arbeit gilt, dass sie einen selbständigen Beitrag zum Verstehen und besonders dem Erleben einer Dichtung leistet. Die Reflexion kann die schöpferische Leistung erst nach ihrer Ausgestaltung beschreiben. Was sie auszeichnet und was in ihr besonders zur Ausprägung gekommen ist, wird im Schaffen selbst entschieden. Die Arbeit von Christian Peter ist prozessorientiert. Sie nimmt die Persönlichkeiten, die in der Produktion mitwirken als selbstständige Menschen ernst. Regiearbeit ist daher eine besondere Kunstform. Wenn man ohne im Detail festgelegtes Konzept einen lebendigen gemeinsamen Gestaltungsprozess ermöglicht, bleibt vieles längere Zeit nahezu unaussprechbar oder unausgesprochen. Daher sind gegenseitiges Vertrauen und offene Kooperation notwendige Bedingungen für das Entstehen einer erfolgreichen Neuinszenierung.

(ah)